Erneuerung des Kirchengesangbuchs – Ein Projekt mit Tücken – kath.ch (2025)

Kirchenlieder begleiten viele Menschen durch das Leben. Deswegen ist die Revision des Kirchengesangbuchs keine Routineangelegenheit. Als Projekt Jubilate geht sie jetzt in die operative Phase. Verschiedene Fragen stellen sich: Wer nimmt in zwanzig Jahren an den Gottesdiensten teil? Und wie weit soll Digitalisierung gehen?

Francesco Papagni

Seit 2019 existiert eine Arbeitsgruppe, die unter dem Namen Jubilate die Erneuerung des Kirchengesangbuchs (KGB) für die Deutschschweiz vorbereitet. Am 7. November dieses Jahres hat nun die katholische Körperschaft des Kantons Zürich eine Million Franken bewilligt, was dem Projekt jetzt Schub verleihen dürfte.

Zürcher Synode sagt ja

Der Beschluss ging nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne: Nicht so sehr der Betrag selbst als vielmehr die Bedingungen der Rückzahlung lösten Fragen aus. Es handelt sich nämlich um einen Kredit, der mit den Einnahmen aus dem Verkauf des neuen KGB zurückgezahlt werden soll.

Da die Kirchgemeinden aber nicht zum Kauf verpflichtet sind, kann auch die Rückzahlung nicht genau kalkuliert werden. Am Schluss wurde die Vorlage mit 80 ja, 4 nein und 5 Enthaltungen genehmigt, was von einem breiten Rückhalt zeugt. Das Zürcher ja wird als Fanal für die anderen Körperschaften wirken, auch ihren Teil zum Vorhaben zu leisten.

Die Aufgabe ist anspruchsvoll

Aber worum geht es inhaltlich bei Jubilate? Das heutige KGB ist seit 1998 in Gebrauch, eine Revision scheint fällig. Die Veränderung beim Gottesdienstbesuch wie auch die gesellschaftlichen Veränderungen, Stichwort Digitalisierung, haben auch Auswirkungen auf den Kirchengesang.

Das heutige Kirchengesangbuch wird von Insidern kritisiert: zu viel Text, zu unübersichtlich. Viele Pfarreien ergänzen es durch lose Blätter, die sie für einzelne Gottesdienste vervielfältigen – ein Zeichen, dass das KGB in der jetzigen Form nicht genügt.

Deswegen hat die Deutschschweizer Ordinarienkonferenz DOK, die Konferenz der Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz, eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Sandra Rupp Fischer gebildet. Ihr gehören neben Kirchenmusikern auch Liturgiewissenschaftlerinnen und Fachleute aus anderen Bereichen an.

Die Aufgabe ist anspruchsvoll: Kirchenlieder begleiten Gläubige durch ihr Leben, viele haben ihre Vorlieben und Abneigungen. Das Thema wird schnell emotional. Dazu kommt, dass der deutschsprachige Raum eine unvergleichlich reiche und hochstehende Musiktradition kennt. Wer je einen Gottesdienst in der italienischen oder französischen Provinz besucht hat, weiss das.

Ein unvergleichlicher Schatz

Es sind vor allem die Kirchenlieder vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, also von Angelus Silesius bis Franz Schubert, die nicht nur einen kirchlichen sondern einen allgemein-kulturellen Schatz darstellen. Das betont der Kirchenmusiker und Jubilate-Mitarbeiter Udo Zimmermann. Zu diesem doppelten Schatz gehört auch die Gregorianik, die heute nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat.

Deswegen erfreuen sich die gregorianischen Gesänge einer anhaltenden Beliebtheit, ja sie stehen für katholische Identität schlechthin. Eine dritte Gruppe bilden die Kirchenlieder der Nachkonzilszeit; diese sind manchmal schneller gealtert als ihre barocken Vorgänger.

Gelebte Ökumene

Bei seinem Erscheinen war das jetzige KGB eine Pioniertat, waren doch viele Lieder auch im Reformierten Kirchengesangbuch enthalten. Pater Wiesli, der Leiter der damaligen Kommission, ist noch heute stolz darauf. Gemeinsam singen heisst gemeinsam beten, und so repräsentiert das KGB ein gutes Stück gelebte Ökumene.

Praktisch hiess und heisst das, dass die Katholischen viele Lieder aus der lutherischen und reformierten Tradition aufgenommen haben. Eine Tradition, die kirchenmusikalisch weltweit einzigartig ist, weil im lutherischen bzw. reformierten Gottesdienst der Kirchengesang seit je eine zentrale Stellung einnimmt. Diese ökumenische Ausrichtung will Jubilate beibehalten.

Die Situation der Zukunft vorwegnehmen

Der Liturgiewissenschaftler Martin Conrad, Jubilate-Mitarbeiter, gibt bei aller Pflege der Tradition zu bedenken, dass die Situation in zwanzig Jahren vor Augen stehen sollte. Der Grossteil der Gläubigen, die heute die Gottesdienste besuchen, wird dann nicht mehr in die Kirche kommen.

Dafür werden Menschen teilnehmen, die vielleicht mit Taizé-Liedern oder mit christlichen Pop-Songs kirchlich sozialisiert worden sind. Mit dem Generationenwechsel verändern sich auch Kenntnisse und Gewohnheiten.

Das Projekt Jubilate ist nicht zuletzt deswegen auch ein Digitalisierungsprojekt. Konkret geht es darum, das KGB in zwei Versionen herauszugeben, gedruckt und digital. Die digitale Version kann dann mühelos à jour gehalten werden. Vor allem aber kann sie dazu gebraucht werden, die Kirchenlieder an die Wand zu projizieren, was ja teils schon heute gemacht wird. Und sie sollte die Gottesdienstvorbereitung erleichtern.

Mut zum Widerstand

Bei allen Vorteilen eines digitalen KGB lauern auch Fallstricke. Denn es ist verführerisch, ganz auf eine gedruckte Version zu verzichten und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Lieder auf ihrem Smartphone lesen zu lassen. In zwanzig Jahren eine durchaus realistische Perspektive. Was praktisch tönt, ist jedoch gefährlich: Die Kirche ist einer der ganz wenigen verbleibenden Orte, wo wir auf das Smartphone verzichten können. Sie ist eine der letzten «Dekompressionskammern» (Marina Abramovic´) der Gesellschaft – ein Ort des Druckausgleichs.

Wenn Kirchenlieder auf dem Mobiltelefon abgelesen werden, geht dieser Ort verloren. Dann werden auch gleich SMS geschrieben oder gelesen – alles Ablenkungen in einer Welt, die an der Ablenkung zugrunde zu gehen droht. «Man muss mit der Zeit gehen», heisst es dann.

Anzeige ↓ Erneuerung des Kirchengesangbuchs – Ein Projekt mit Tücken – kath.ch (1)Anzeige ↑

Aber die Kirche muss den Mut haben, dem Zeitgeist zu widerstehen, wenn dieser destruktiv ist. Die Gefahren, welche mit diesem kleinem Gerät verbunden sind, werden heute öffentlich diskutiert. Es wäre paradox, wenn ausgerechnet die katholische Kirche hier blauäugig wäre. Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein Blick auf die Jubilate-Webseite. Da wird über Experimente in diese Richtung berichtet.

Disentis: Klosterorgel mit neuem Glanz und iPad

© Katholisches Medienzentrum, 04.12.2024

Die Rechte sämtlicher Texte sind beim Katholischen Medienzentrum. Jede Weiterverbreitung ist honorarpflichtig. Die Speicherung in elektronischen Datenbanken ist nicht erlaubt.

Möchten Sie diesen Artikel in Ihrem Medium weiterverwenden?
Hier geht es zur › Bestellung einzelner Beiträge von kath.ch.

Erneuerung des Kirchengesangbuchs – Ein Projekt mit Tücken – kath.ch (2025)
Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Carlyn Walter

Last Updated:

Views: 5619

Rating: 5 / 5 (70 voted)

Reviews: 85% of readers found this page helpful

Author information

Name: Carlyn Walter

Birthday: 1996-01-03

Address: Suite 452 40815 Denyse Extensions, Sengermouth, OR 42374

Phone: +8501809515404

Job: Manufacturing Technician

Hobby: Table tennis, Archery, Vacation, Metal detecting, Yo-yoing, Crocheting, Creative writing

Introduction: My name is Carlyn Walter, I am a lively, glamorous, healthy, clean, powerful, calm, combative person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.